Jeder Radsportler, der sich dazu entschlossen hat sein Training mithilfe eines Powermeters zu steuern, stößt recht schnell auf das Konzept der funktionellen Schwellenleistung (FTP). Hier im Blog habe ich der FTP-Ermittlung daher einen eigenen Beitrag gewidmet. Doch inwiefern ist die FTP mit der aus der Sportphysiologie bekannten individuellen, anaeroben Schwelle (abgekürzt: IANS, IAS oder ANS) vergleichbar oder unterscheiden sich die beiden Werte sogar signifikant?
Definition der individuellen anaeroben Schwellenleistung (IANS)
Um sich dieser Frage zu nähern, ist es ratsam sich zunächst einmal die Definition der IANS anzusehen. Die IANS ist definiert als die maximale Leistung, bei welcher der im Blut gemessene Laktatwert noch konstant bleibt. Wird diese Leistung überschritten, steigt der Laktatwert (gemessen in mmol/l) immer weiter an. Beispiel: Liegt die IANS eines Radsportlers bei 300 Watt, so würde bei einer Leistung über 300 Watt, die Laktatkonzentration im Blut stetig zunehmen. Es wird von nun an also mehr Laktat produziert, als der Körper abbauen kann.
Die anaerobe Schwelle stellt also die höchstmögliche Belastungsintensität dar, die ein Sportler ohne Ansammlung von Laktat aufrechterhalten kann. Die mögliche Belastungsdauer ist in diesem Fall in der Regel nur durch die Verfügbarkeit von Kohlenhydraten begrenzt (siehe hierzu auch meinen Exkurs zum Kalorienverbrauch während eines Radmarathons). Ermittelt wird die IANS meist im Rahmen eines Stufentests auf einem Ergometer in einem Radlabor.
Abgrenzung zur FTP
Bereits anhand der Definitionen der beiden Schwellenkonzepte wird also deutlich, dass es sie sich hierbei um völlig verschiedene Testverfahren handelt, deren Ergebnisse nicht zwangsläufig gleich sein müssen. Im Rahmen des FTP-Konzepts wird die maximale Stundenleistung ausgefahren, beim IANS-Konzept wird dagegen die Laktatkonzentration im Blut in Abhängigkeit von der getretenen Leistung ausgewertet. In beiden Fällen werden die an der Schwelle ermittelten Watt- und/oder Pulswerte verwendet, um in einem zweiten Schritt individuelle Trainingsbereiche zu errechnen. Im Laufe der Saison sollten die Tests mehrmals wiederholt werden, um der (hoffentlich) steigenden Form Rechnung zu tragen. Doch nun zurück zur Ausgangsfrage:
Weichen IANS und FTP wesentlich voneinander ab?
Radlabore sehen das FTP-Konzept oftmals kritisch. Einerseits ist diese Sichtweise naheliegend, da solche Labore Geld mit der Laktatdiagnostik verdienen und ein Training nach dem FTP-Konzept in Eigenregie ohne aufwändige Diagnostik erfolgen kann. Andererseits ist die Kritik aber auch nachvollziehbar. Denn die FTP beschreibt lediglich eine Leistung, erlaubt dabei aber keinerlei Rückschlüsse darauf wie diese Leistung physiologisch zustande kam. Konkret bleibt unklar zu welchen Teilen die Leistung durch aerobe oder anaerobe Stoffwechselprozesse erbracht wurde. Die berechneten Trainingsbereiche sollten daher stets hinterfragt werden.
Wer tiefer in die Materie eindringen möchte, findet bei iQ athletik eine kritische Gegenüberstellung der beiden Schwellenkonzepte. Bezogen auf die Ausgangsfrage lässt sich jedenfalls festhalten, dass es durchaus größere Abweichungen zwischen FTP und IANS geben kann und somit auch die von der FTP abgeleiteten Trainingsbereiche nur einen Anhaltspunkt geben können.
Fazit
Für den Einstieg in das strukturierte Training ist zweifellos die Trainingssteuerung anhand der FTP leichter und günstiger umzusetzen. Außer einem Powermeter benötigt man schließlich nichts weiter. Für die Bestimmung der IANS sind zusätzlich zum Leistungsmesser kostspielige Besuche im Radlabor oder bei einem Sportmediziner notwendig. Wer also einfach mal ausprobieren möchte, ob einem das Befolgen eines individuellen Trainingsplans liegt, kann durchaus mit dem FTP-Konzept starten. Sollte man Gefallen am strukturierten Training finden, macht es später aber durchaus Sinn ein Radlabor zu besuchen, da dass FTP-Konzept wie oben erläutert sicherlich Optimierungspotenzial aufweißt.